Montag, 16. Januar 2012

Kultur oder Vandalismus? Graffiti und Street Art in Melbourne - Ein Exkurs.


Ein Gastbeitrag von Sylvana Jahre*

Ohne Zweifel hat das mediale Interesse an Graffiti und Street Art in den letzten Jahren zugenommen, nicht wenige Künstler haben mit ihren Werken den Schritt von der Straße in die Galerien vollzogen und selbst die Wissenschaft setzt sich mit dieser eigentlich gar nicht so neuen Kunstform auseinander. Damit könnte man meinen, dass die generelle Akzeptanz für eine buntere Stadt gestiegen sein müsste – auch wenn die Künstler fremdes Eigentum nutzen. Der öffentliche Raum einer Stadt ist doch öffentlich und damit für jeden nutzbar und gestaltbar, oder nicht? 
Dieser Beitrag analysiert am Beispiel von Melbourne ob und inwieweit diese Akzeptanz in Politik und Stadtplanung angekommen ist und wie die Akteure durch Regelwerke definieren, ob urbane Kunst als Kulturform oder als Vandalismus anzusehen ist. Melbourne ist hierbei insbesondere interessant, da die Stadt nicht nur die Kulturmetropole Australiens ist und mit den zahlreichen Galerien, Museen und Kulturfestivals zu diesem Image beiträgt, sondern auch weil unzählige Künstler in der Stadt agieren und damit eine basisdemokratische Kunst und Kulturszene erhalten.


Bei einem Spaziergang durch die Straßen von Melbourne offenbaren sich viele unterschiedliche und interessante Formen urbaner Street Art. Der Kreativität der Künstler sind keine Grenzen gesetzt – vom klassischen Graffiti, über Stencils, Aufkleber, Malereien, bis hin zu Postern ist alles Vorstellbare vertretenDiese Heterogenität spiegelt sich allerdings nicht in den Orten wider. Eine Konzentration von Street Art und Graffiti findet sich vor allem in den kleinen Gassen, die neben den Hauptstraßen des City Councils von Melbourne existieren. Von einem Zufall lässt sich hier jedoch kaum sprechen.




Obwohl Melbourne als der Mittelpunkt der Street Art und Graffiti Szene Australiens gilt, sind die Gesetze und Regularien im Vergleich zu Deutschland relativ streng.
Der Bundesstaat Victoria diktiert zunächst den weiteren Gesetzesrahmenin dem Graffiti klar verboten ist, als strafbar gilt und schnellstmöglich entfernt gehört. Ganz im Sinne der Broken Windows Theorie wird angenommen, dass ein Graffiti oder Tag sofort weitere „Verschmutzungen“ anzieht und somit eine Abwärtsspirale im Quartier in Gang setzt. Der Stadt selbst bleibt damit nur ein kleiner Handlungsspielraum, auch wenn eine höhere Toleranz und Akzeptanz vorhanden wäre.


Es wurde ein Konzept erarbeitet, das versprach alle vorstellbaren Akteure und Interessengruppen zu involvieren, ausgewogen zu sein, zu informieren und gerecht zu handeln. Trotz weitgehend positiver Zustimmung wurde das Konzept ganz plötzlich von Seiten der Stadt abgelehnt und den Beteiligten wurde untersagt mit den Medien über diese Angelegenheit zu sprechen.

Der neue Plan sah vor, dass Graffiti und Street Art inakzeptabel seien und nicht toleriert werden. Selbst ein „Graffiti-Entfernungs-Mobil“ wird eingesetzt um die Straßenkunst schnellstmöglich und auf Kosten der Stadt zu entfernen. Zudem sind die Anwohner angehalten, entweder Graffiti und Street Art selbst zu entfernen, oder es umgehend bei den zuständigen Behörden zu meldenAllein das Transportieren von Sprühdosen ist strafbar. Wer verdächtig aussieht kann von der Polizei auf der Straße angehalten und durchsucht werden. Wenn die Personen Sprühdosen bei sich haben, kann die Polizei vor Ort AUS$550 verlangen – sofern nicht eine Genehmigung vorliegt.

Dennoch ist auch den konservativen Politikern in der Stadtverwaltung nicht entgangen, dass vor allem Street Art ein Image prägen kann, Touristen anlockt und damit sogar lukrativ für die Stadt wäre. Eine spezielle Kommission (The City of Melbourne’s Street Art Assessment Panel mit Repräsentanten von der Polizei Victoria, Anwohnern, Jugend- und Künstlergruppen und der Stadtverwaltung) hat sich gebildet, bei der Hausbewohner oder Gewerbetreibende eine Erlaubnis für ein bestimmtes Kunstprojekt beantragen können. Darüber hinaus gibt es das Graffiti Mentoring Programmwelches legale Street Art fördert und dessen bedeutsamstes Projekt 2008 in der Union Lane stattgefunden hat.

Legalisiert wird also „schöne Kunst“ mit kontrollierten Inhalten auf kontrollierten Flächen. Da insbesondere Tags und klassische Graffiti nicht den ästhetischen Vorstellungen der Autoritäten entsprechen, wird hier eine zwei Klassen Gesellschaft innerhalb der Community gefördert und verstärkt. Darüber hinaus sind die Machtverhältnisse in und um den öffentlichen Raum klar definiert - nicht nur zwischen Künstlern und der Stadt, sondern auch zwischen der Stadt, dem Staat Victoria und dem Land Australien. Doch trotz der zunehmenden Kriminalisierung und der Erhöhung der Strafen schleichen auch weiterhin die Künstler nachts durch die Straßen und kleben, malen, stricken und sprühen.

 
Besonders auffallend ist der große Anteil weiblicher Akteure, die mit ihrer Kunst viel Gefühl auf die Straßen von Melbourne zaubern. Beeindruckend sind neben Be Free, KaffeineDeb und Urban Cake Lady vor allem auch Miso und Vexta. Dabei scheint Melbourne eine Vorreiterrolle einzunehmen, denn überall sonst auf Welt gibt es derzeit nur vereinzelt Künstlerinnen, die aktiv bunte Wände und Fassaden im öffentlichen Raum gestalten.


Bilder: Sylvana Jahre









*Über die Autorin 
Sylvana Jahre studiert seit 2006 Geographie, Sozialwissenschaften und Stadt- und Regionalplanung an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Technischen Universität Berlin. Nach ihrem einsemestrigen Studienaufenthalt an der University of Lund (Schweden) im Jahre 2010 folgte 2011 ein zweiter, zweisemestriger Studienaufenthalt an der University of Melbourne (Australien). In dieser Zeit arbeitete sie als 



Forschungsassistenz an der Universität zum Thema Street Art und Graffiti. 

In Berlin war sie bereits als studentische Mitarbeit an der Humboldt-Universität am Lehrbereich der Kultur- und Sozialgeographie und im Graduiertenkolleg Stadtökologie zum Thema Zwischennutzung tätig.

Ihre fachlichen Interessenschwerpunkte sind urbane Kulturpolitik, räumliche Ausprägung von Armuts- und Exklusionsprozessen, Jugendkultur, Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse in Städten.


Kontakt: s.jahre@googlemail.com


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